21.12.08

So vorbeigeweht......











"Wenn ich allein bin, ist das Zimmer tot.
Die Bilder sehn mich an wie fremde Wesen.
Da stehn die Bücher, die ich längst gelesen,
Drei welke Nelken und das Abendbrot.

Grau ist der Abend. Meine Wirtin tobt.
Ich werde irgendwo ins Kino gehen.
- Mit Ellen konnte ich mich gut verstehen.
Doch vorgen Sonntag hat sie sich verlobt.

...Das letzte Jahr ist so vorbeigeweht.
Mitunter faßt mich eine schale Leere.
Der Doktor sagt, daß dies neurotisch wäre.
Ob das wohl andern Leuten ähnlich geht.

Ich träume manchmal, daß der Flieder blüht.
(Ich kann zuweilen ziemlich kitschig träumen.)
Erwacht man morgens dann in seinen Räumen,
Spürt man erst recht, wie es von draußen zieht.

Dann pflückt man statt der blauen Blümelein
Die ewig-weißen Blätter vom Kalender
Und packt die noch zu frühen Sommerbänder
Und seine Sehnsucht leise wieder ein.

Vorm Fenster friert der nackte Baum noch immer,
Und staubgeschwärzter Schnee taut auf den Beeten.
Der Ofen raucht. Und mein möbliertes Zimmer
Schreit schon seit Herbst nach helleren Tapeten.

Mein bester Freund ist nach Stettin gezogen.
Der Vogel Jonas blieb mir auch nicht treu.
Die Winterlaube hat der Sturm verbogen.
- Nun sitz ich da und warte auf den Mai..."

(Mascha Kaléko: Möblierte Melancholie)


Mascha who?
Mehr über M.K. hier und hier
(deutsch) - and here (english)

1 Kommentar:

Eva hat gesagt…

Oh, was für ein tolles Gedicht. Und wie traurig! Ja, so banal kann das Leben sein. Kürzlich war ich in Berlin. Friedenau. Der Blick aus dem Fenster war recht ähnlich. Au, pardautz, man fängt doch glatt zu dichten an, wenn man dieses Gedicht zweimal gelesen hat.